Nachdem ihr die heutige Episode gehört habt, ist natürlich die Neugierde geweckt. Ob man hier wohl irgendwo diesen Vampir-Roman kaufen kann?
Ihr habt Glück. Der Besitzer des örtlichen Ladens sinnlicher Freuden (Das Fass ohne Boden*) ist ein regelmäßiger Gast im Lachenden Drachen. Dummerweise sitzt er heute an einem Tisch genau in der Mitte des Gastraums. Möglichst unauffällig setzt ihr euch neben ihn und hofft dabei ein bisschen, dass euch niemand sieht. Mit hochrotem Kopf beugt ihr euch ein Stück vor und erkundigt euch gedämpft und unter einigem Stammeln nach dem Roman.
Fidel, ein Gnom mit wirren, blonden Haaren und grünen Augen, findet das offensichtlich lustig. Er rät euch, erstmal ein bisschen zu entspannen, bestellt eine Runde Schnaps, dann noch eine, und bald seid ihr in ein Gespräch über die Feinheiten des Romans vertieft.
„Das ist ja alles gar nicht so anstößig, wie manche Leute immer noch glauben“, erklärt Fidel gerade. „Wartet, ich glaube, in der neusten Ausgabe Lust und Liebe war sogar ein Interview dazu.“ Er dreht sich um und zieht ein zusammengerolltes Heft aus der Tasche seines Mantels, der über der Stuhllehne hängt. Auf dem Cover sind einige leicht bekleidete Halblinge zu sehen, doch er blättert nach hinten durch. „Aha!“ Fidel streicht das Magazin vor sich glatt und liest vor.
LuL: Heute bei uns ist Jen, Inhaberin von Speer&Spitze, dem Damenausstatter für die starke Frau und Autorin des bekannten Romans Devote Vampire bei Bauer Alrik sowie der Folgebände Diskrete Spiele in Frauenkleidern und Hemmungslose Nächte auf der Flucht. Es freut mich, dass Sie heute hier sind, Jen!
Jen: Ganz meinerseits.
LuL: Jen, ich denke, was unsere Leserinnen und Leser am meisten interessiert: warum entscheidet sich jemand, erotische Romane zu schreiben?
Jen: Ich verstehe nicht, warum sich die Leute immer darüber wundern. Ich möchte dann immer zurück fragen, wie irgendjemand Bücher ohne Erotik schreiben kann. Das ist langweilig. Die meisten Leute dort draußen haben in irgendeiner Form ein Interesse an Zweisamkeit. Es ist also kein absurdes Thema, auf das man erst einmal kommen müsste. Außerdem bin ich auch persönlich vorgeprägt. In den Silberbergen, wo ich aufgewachsen bin, war es völlig normal, dass Frauen genauso aus sich raus gegangen sind wie Männer. Als ich dann in meiner Jugend aus dem Gebirge weg bin, hat mich schockiert, wie verschämt viele meiner Altersgenossinnen – und auch – genossen! – im Umgang mit ihrer Sexualität waren. Da habe ich beschlossen: das will ich ändern. Man sollte ganz normal über das reden und schreiben dürfen, was einem gefällt.
LuL: Ist das nicht manchmal schwierig?
Jen: Schon. Ich treffe immer wieder auf Unverständnis, auch bei Leuten, von denen ich das nicht erwartet hätte. Aber oft sind es die gleichen, die dann ein paar Wochen später zurückgeschlichen kommen und gestehen, sie hätten es gelesen und viel Spaß dabei gehabt. Das freut mich dann. Ich finde es gut, wenn sich die Leute von meinen Geschichten inspirieren lassen.
Schwieriger ist eigentlich das Schreiben an sich. Erotik ist ein Thema, das von vielen Leuten – Lesenden wie Schreibenden – nicht ernst genommen wird. Viele denken: ein paar billige Sätze, ein paar geile Charaktere, fünf Seiten, Tittenvorschaubild – fertig. Aber das ist nicht mein Anspruch. Der strahlende Held mit dem Riesending, der ist kurzfristig vielleicht anregend, aber er trägt nicht durch hundert Seiten. Spätestens, wenn ein Protagonist sich auszieht, zeigt sich, ob die Figur was taugt. In Action oder Komödie kann man Oberflächlichkeit leicht verstecken. Wenn aber Beziehung die ganze Story ist, fällt das sehr schnell auf.
LuL: Das stimmt. Ich kenne wenig wirklich gute Bücher in diesem Bereich und selbst die verstecke ich meist, wenn mich Kolleginnen besuchen kommen.
Jen: Das liegt daran, dass viele Schaffende sich nicht die Mühe machen, Klischees zu vermeiden. Perfekte Körper in absoluter Ekstase? Männer, die nur untenrum denken und Frauen, die sich zieren? Alles macht immer Freude und man hat den Dreh sofort raus? Das krieg ich bei meinem Verlag überhaupt nicht durch. Meine Lektorin ist ein Drachen.
LuL: Oh. Ist sie kompliziert im Umgang?
Jen: Nein, Nein. Sie ist Drachen. Groß, blau. Tausend Jahre alt. Hat alles gelesen. Da muss ich mit solchen ausgelutschten Themen und Phrasen gar nicht mehr kommen.
LuL: Haha, ausgelutscht!
Jen: Auch mit solchen Witzen.
LuL: Verzeihung. Uns ist natürlich bekannt, dass Sie gerade an einem neuen Buch arbeiten. Könnten Sie Ihren Fans abschließend vielleicht einen klitzekleinen Einblick gewähren, worum es darin gehen wird?
In diesem Moment taucht Grim am Tisch auf. Er hat diese Falte zwischen den Augenbrauen, die nie gut ist. „Fidel, ich mag dich wirklich gern. Aber musst du den Schweinkram unbedingt in meinem Gasthaus lesen?“
Fidel schaut zu ihm auf, räuspert sich, und rezitiert mit Pathos:
Jen: Ich will nicht zu viel verraten, nur so viel: wir werden gemeinsam in das bisher sträflich vernachlässigte Genre der Zwergenerotik eintauchen.
Grim verzieht das Gesicht und steht einige Sekunden lang schweigend neben dem Tisch, offenbar nachdenkend. Dann wendet er sich ab und stapft zum Tresen zurück. Im Gehen brummt er: „Sag mir Bescheid, wenn du das da hast.“
Fidel grinst euch verschmitzt zu. „Und so sind sie alle.“
*Als Fidel sich vor fünf Jahren im Ort niederließ, kommentierte der damalige Bürgermeister seine Geschäftsidee empört mit dem Ausruf: „Das schlägt doch dem Fass den Boden aus!“ Und da Fidel niemand ist, der einen gut gemeinten Vorschlag nicht annimmt…